Abenteuerreisen mit der Deutschen Bahn

Von ausgefallenen Zügen, überfüllten Waggons und überhitzten Gemütern. Ein kurzer Reisebericht.
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Vor wenigen Tagen war ich mal wieder Zuhause-Hause, d.h. in der Heimat. Der IC der Deutschen Bahn auf meiner Hinfahrt hatte eine Verspätung von lächerlichen 5 Minuten. Nicht der Rede wert. Im Kosmos der Deutschen Bahn (DB) wird dies vermutlich nicht einmal registriert. Mittlerweile bin ich mir aber gar nicht so sicher, ob bei der DB überhaupt noch wer irgendwas registriert. Für meine Rückfahrt hat sie sich nämlich etwas ganz besonderes einfallen lassen.

Der von mir gebuchte ICE sollte am Donnerstagmorgen um 10.29 Uhr abfahren. Um sicher zu gehen, dass ich mir nicht mühsam mit Koffer und Laptop einen Sitzplatz suchen müsste, reservierte ich diesen gleich dazu. So hatte ich es schon dutzende Male zuvor getan: Großraum, weil ich es hasse, in einem Abteil jemandem gegenüber sitzen zu müssen und dann die Füße nicht ausstrecken zu können. Fensterplatz, da ich den ungestörten Landschaftsblick  und ein entspannendes Sonnenbad genießen wollte. Insgesamt vier völlig überteuerte Euro für eine offenbar außergewöhnliche Reservierungsleistung. Das angekündigte Reisewetter war vielversprechend: Sonnig und trocken bei rund 30°C. Der ICE fährt zudem durch. Wenn ich also einmal im Zug sitze, steige ich erst am Ziel aus. Alles sprach somit am Donnerstagmorgen für einen entspannten Reisetag. Wie naiv ich doch war.

Bereits frühmorgens informierte mich der sogenannte „Verspätungsalarm“, dass mein ICE ausfiel. Keine Panik. Die Bahn kündigte einen IC als Ersatzzug an. Ich nahm schon einmal innerlich Abschied von meiner Sitzplatzreservierung. Meine Hoffnung beschränkte sich darauf, dass ich trotz der Ferienzeit doch wohl um halb Elf am Donnerstag irgendeinen freien Platz finden sollte. So naiv. Kurz bevor ich zum Bahnhof abfahren wollte, verriet mir dann ein Blick in die DB Navigator App, dass der Ersatzzug bereits eine Verspätung von 50 Minuten eingefahren hatte. Statt in Köln hing mein Zug immernoch irgendwo bei Koblenz. Meine bescheidenden Geografiekenntnisse sagten mir zwar, dass der „umgestürzte Baum zwischen Schwelm und Ennepetal“ nur indirekt der Grund dafür sein konnte, dass mein Zug im Süden bei Koblenz gegen den Fahrplan rebellierte. Ich nahm aber auch das als Eigenart des Streckennetzes der DB hin. Fünfzig Minuten später als geplant bestieg ich also den Ersatzzug. Ein IC, dem man optisch ansah, dass er nur als kurzzeitiger Ersatz gemeint sein kann. Meine Hoffnung auf einen Sitzplatz starb leider recht schnell. „Alles voll – überall“ warfen mir entgegenkommende Mitreisende mehrfach zu, die ebenfalls den Zug auf und ab liefen, um einen der begehrten freien Sitzplätz zu ergattern.
IMG_20130801_135828Ich bezog erst einmal Position gegenüber einer Zugtür, wo ich ich Platz für meinen Koffer und eine Festhaltestange für mich gefunden hatte. Lange musste ich nicht auf Gesellschaft warten. Eine alleinreisende Pubertierende setzte sich auf ihren Koffer neben mich, während ihre Mutter durch die geöffnete Türe noch Hinweise erteilte („Hast du deine Medikamente? Erst nehmen, wenn es juckt…“) Ein grauhaariges Damentrio beendete seine vergebliche Platzsuche ebenfalls in meiner unmittelbaren Nähe. Als die Anzeigetafel am Bahnsteig des ersten Halts darüber informierte, dass der Zug dort eine weitere halbe Stunde stehen werde, versagte das Dampfventil der drei älteren Damen. Offenbar angestaute Aggressionen mussten raus. „Wir kommen nie in Hamburg an! Eine Unverschämtheit ist das! Zumutung! Ich fahre nie wieder Bahn! Typisch!“ Ich wartete vergeblich auf ein überlegen klingendes „Früher war alles besser“. Das Mädchen hingegen sorgte sich vielmehr, dass die Zugtüren jederzeit schließen könnten und ihr Handy dann zurückbleiben würde. Dieses hatte sich inzwischen nämlich die Mutter ausgeliehen, um den Vater des Mädchens ein Statusupdate mitzuteilen. Eine der älteren Frauen hatte sich währenddessen für eine Zigarette (vermutlich zur Beruhigung der Nerven) vor der Zugtür entschieden und konnte das Mädchen beruhigen, dass der Zug nicht so schnell abfahren würde. Dann gäbe es nämlich „richtig Ärger“. Gegen die dann aber geäußerte Angst des Mädchens, dass der Akku nun vermutlich nicht mehr die ganze Fahrt durchhalten würde, konnte sie allerdings nichts ausrichten. Kurz nachdem der Zug den Bahnhof endlich verlassen hatte, gab die Zugbegleiterin per Lautsprecherdurchsage bekannt, dass im allerersten Wagen noch „wenige Sitzplätze“ frei seien. Beeindruckend, wie flink die Damen plötzlich verschwanden. Das Mädchen lief einfach mal hinterher. Drei erwachsene Frauen können ja nicht irren, oder? Ich blieb stehen. Wenigstens hatte ich dort im Gang ausreichend Platz und möglicherweise frei werdende Sitzplätze im Blick.

Zwischenzeitlich war eine eine Großfamilie zugestiegen. Das gefühlte Dutzend Koffer verteilte der Vater großzügig in den Gängen. Die dazugehörenden Kinder nahmen nach und nach die wenigen frei werdenden Sitzplätze in Beschlag. Ich hingegen hatte mich damit abgefunden, die restliche Zugfahrt in meiner Ecke zu verbringen. Ich hörte beste Musik über meine Kopfhörer. Die abgestandene Luft wurde regelmäßig gegen frische ausgetauscht, wenn die Zugtüren sich beim nächsten Halt öffneten. Dies war leider aber auch nötig. Denn nach der Hälfte meiner Fahrt meinte eine Mitreisende mitteilen zu müssen, dass die Spülung im WC nebenan „offenbar nicht richtig funktioniert“. Gut, dass sie mir das sagte. Ich hätte den beißenden Gestank vermutlich noch fehlgedeutet… Die Toilette im Nebenwaggon war im übrigen offenbar bereits seit längerer Zeit wegen eines Defekts abgeschlossen. In diesem Zug schien das traurigerweise ein Grundzustand der Toiletten zu sein.
Die Zugbegleiter waren unterdessen damit beschäftigt kostenlos Wasserflaschen zu verteilen. Immerhin. Als der Zug die 100-Minuten-Verspätung-Marke knackte, gab es die mehrseitigen Fahrgastrechteformulare gratis obendrauf. Peinlicherweise hielt es während der gesamten Zugfahrt keiner für notwendig, über den Grund der fast zweistündigen Verspätung zu informieren. Zeitweise hätte ich mich vermutlich sogar mit einer floskelhaften „Störung im Betriebsablauf“ abspeisen lassen. Aber so fortschrittlich ist die Bahn nicht. Informationen kosten wohl extra.

Im DB „Service“-Zentrum wollte ich anschließend meine Fahrgastrechte geltend machen:

1) eine Fahrpreiserstattung wegen der 100-minütigen Verspätung,
2) die Differenz zwischen dem Fahrpreis für den gebuchten ICE und dem tatsächlich befahrenen IC,
3) die Kosten für die nicht vorhandene Sitzplatzreservierung.

An dieser Stelle folgte dann noch einmal ganz großes Kino des „Service“-Teams: Die Erstattung der Sitzplatzreservierung könne man mir an Ort und Stelle auszahlen, die beiden anderen Ansprüche müsse ich aber schriftlich per Fahrgastrechteformular geltend machen. Das werde mir dann überwiesen. Anders gehe das nicht. Das müsse schließlich alles noch geprüft werden! Der Zangenabdruck des Zugbegleiters  auf dem Formular hatte also noch weniger Aussagekraft als ich ohnehin schon annahm. So fand ich mich schließlich an einem winzigen Tisch wieder, gemeinsam mit einem anderen Reisenden, minutenlang das Fahrgastrechteformular (mein persönliches Unwort der Woche) ausfüllen. In Druckbuchstaben in vorgedruckte Kästchen. Vorder- und Rückseite. Mit der Einwilligung, dass meine Daten zu „Marktforschungszwecken in anonymisierter Form“ verarbeitet werden dürfen. Von mir aus. Hauptsache, ich bekomme etwas Geld zurück.

In der Schlange vor den Serviceschaltern musste ich mich selbstverständlich erneut anstellen. Ist ja nicht so, dass ich nicht bereits genug wegen der Deutschen Bahn rumgestanden hätte…

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